Die glorreiche neue Welt der KI: Ein sarkastischer Blick ins Chaos

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Als ich als Content-Strategin im Jahr 2016 die Künstliche Intelligenz für mich entdeckte, hätte ich wohl ahnen müssen, dass sie mein Fachgebiet kräftig durcheinanderwirbeln würde. Damals tauchten intelligente Sprachassistenten und die visuelle Suche auf Pinterest auf und gaben einen frühen Hinweis auf die kommende Content-Revolution. Aber hey, wer denkt schon so weit? Acht Jahre intensiver Beschäftigung mit KI-Technologie haben mich nicht auf den Umbruch meiner Branche vorbereitet. Die gröhlenden Stimmen der „Experten“ auf LinkedIn und Co. tragen nicht gerade zur Klarheit bei. Im Gegenteil, sie verstärken meine Verwirrung nur noch. Manchmal wünsche ich mir Ohrstöpsel – vielleicht auch gleich für die Augen.

Als Managerin eines Lokalisierungs-Teams fühle ich mich aktuell wie eine Artistin auf einem Einrad, die plötzlich auch noch mit Kettensägen jonglieren soll. Manch sorgenvoller Blick meiner Mitarbeiter ist schwer zu ertragen. Sie erwarten von mir, dass ich ihnen eine Lösungen für die Zukunftsfähigkeit ihrer Jobs präsentiere. Schließlich habe ich Erfahrung mit KI, oder?

Die Wahrheit ist, dass auch ich keine Ahnung habe, wie es weitergeht. Ich weiß nicht, ob mein Job noch Sinn macht, ob mein Studium der Kommunikationswissenschaften nach 15 Jahren seine Gültigkeit verloren hat. Ob ich mich umschulen muss. Und wenn ja, wozu? Irgendwie ist doch jede Industrie betroffen. Selbst Programmierer werden angeblich durch KI ersetzt.

All die Beruhigungen, die ich in den letzten Jahren gehört, gelesen und selbst verbreitet habe, lösen sich in Luft auf. Dinge wie: „KI befreit dich von wiederholenden Tätigkeiten, damit du andere Sachen machen kannst“ oder „KI wird dich nicht ersetzen, sondern ein Mensch, der KI benutzt.“ Das KI neue Jobs schaffen wird, etwa „Prompt-Engineer“. Es gibt ganze Reihen von Diskussionen auf Reddit, die argumentieren, dass Prompt-Engineering vielmehr ein Werkzeug wie Excel oder Word ist, das jeder halbwegs beherrschen sollte.

Die Realität sieht anders aus. Frau muss Argumente aus dem Hut zaubern, warum das eigene Team überhaupt noch existiert, während die schöne neue Welt der KI anklopft. Frau muss die Leistung der Mitarbeiter plötzlich auf KPI- oder Kosten-Ebene mit Maschinen messen und hat dabei kaum eine Chance. Frau sieht, wie Qualität immer weniger zählt, weil Effizienzsteigerungen durch automatisierte Prozesse so viel attraktiver für die Chefetage sind.

Es ist anstrengend, immer wieder erklären zu müssen, dass KI kein Zauberstab ist, der den Menschen gleichwertig ersetzen kann. (Zumindest noch nicht.) Doch im Rausch der gesunkenen Kosten und schnelleren Prozesse geht fast jedes Gegenargument unter.

Die Einschläge kommen näher. Nicht nur im Content- und Übersetzungsbereich, sondern auch im Kundenservice und Marketing. Überall steht die Reduzierung menschlicher Ressourcen auf dem Plan. Dass mein Team noch existiert, verdanken wir dem letzten Rest Menschlichkeit in den Führungsetagen. Anscheinend gibt es immer noch ein paar Chefs, die lieber einen echten Menschen anrufen, um herauszufinden, wie der Drucker funktioniert, anstatt einen Roboter zu fragen.

Auf der anderen Seite bewundere ich die Ignoranz mancher Mitarbeiter, die sich der neuen Technologie einfach verweigern. „Ich benutze lieber noch mein Gehirn,“ sagen sie. Und ich möchte fragen: Heißt das, ich benutze meins nicht mehr? Generative KI ist ja doch auch ein Mehrwert. Ich nutze sie jeden Tag, arbeite schneller und schaffe mehr. Aber dabei erwische ich mich immer häufiger, wie ich der KI blind vertraue und kaum noch kontrolliere, was sie ausspuckt. Dafür habe ich keine Zeit mehr. Zu sehr habe ich mich an die Schnelligkeit gewöhnt.

Also hat der Kollege wohl recht – ich benutze mein Gehirn immer weniger. Ich generiere nur noch Bilder, Videos und Texte. Was, wenn RichterInnen, PolitikerInnen und PolizistInnen das genauso machen? Wir müssen fragend und skeptisch bleiben, auch wenn es anstrengender ist.

Also – wohin geht die Reise? Wie geht man mit der Panik um? Im Grunde fühle ich mich wie ein Surfer, der plötzlich von einer Tsunamiwelle erfasst wurde und nun verzweifelt versucht, auf dem Brett zu bleiben. Dabei habe ich nicht mal das Gleichgewicht für eine ruhige See! Ich strample wie verrückt, um zu überleben, doch die Richtung und Kraft der Welle kann ich nicht beeinflussen. Stattdessen muss ich mich geduldig treiben lassen und hoffen, dass die KI-Flut mich irgendwann gnädig ausspuckt – vielleicht irgendwo auf einer einsamen Insel mit ausreichend WLAN, wo ich meine Wunden lecken und mein Leben neu sortieren kann.

Und wer weiß? Vielleicht werde ich eines Tages nostalgisch auf die gute alte Zeit zurückblicken, als Menschen noch die einzigen waren, die Tee verschütteten und Rechtschreibfehler machten. Schließlich hatte auch das seinen ganz eigenen, chaotischen Charme. Vielleicht sollte ich anfangen, die kleinen Unvollkommenheiten des Lebens wieder mehr zu schätzen – so wie die eine Pflanze, die trotz meiner miserablen Pflege überlebt hat. Wer hätte gedacht, dass ich mich nach den Zeiten sehnen würde, als mein größtes Problem darin bestand, ob ich genügend Club Mate intus hatte, um den Tag zu überstehen?

Tina

Tina Nord ist Marketing-Expertin, Autorin und Sprecherin. Die Kommunikationswirtin beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit Content Marketing. Seit 2016 erforscht Tina den Einfluss maschinellen Lernens auf Content und engagiert sich für die Repräsentation und Beteiligung von Frauen an der Entwicklung von KI.

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